Kurzdefinition & Wichtigste Fakten
Wigilia ist das traditionelle polnische Heiligabend-Mahl, das am 24. Dezember stattfindet und kulturell als wichtigstes Familienfest des Jahres gilt. Charakteristisch für dieses Festessen ist der strikte Verzicht auf Fleisch (außer Fisch) sowie eine feste Abfolge von symbolträchtigen Ritualen und Speisen.
Die wichtigsten Eigenschaften:
| 🌱 Kategorie: | Religiöses & kulturelles Brauchtum |
| 🌍 Herkunft: | Polen (Slawische Traditionen) |
| 📅 Zeitpunkt: | 24. Dezember (Beginn mit dem ersten Stern) |
| 💡 Besonderheit: | Fleischloses Fastenbrechen, 12 Gerichte |
| 🍴 Hauptzutaten: | Fisch, Kohl, Pilze, Mohn, Getreide, Honig |
Das Wichtigste auf einen Blick
- Fastentradition: Der Verzicht auf Fleisch symbolisiert spirituelle Reinheit und das Warten auf die Geburt Christi.
- Strukturierter Ablauf: Das Essen beginnt erst, wenn der erste Stern am Himmel sichtbar ist („Gwiazdka“).
- Symbolik der Speisen: Es werden traditionell zwölf Gerichte serviert, die für die zwölf Apostel oder die Monate des Jahres stehen.
- Zentrale Zutaten: Die Küche basiert auf Feld-, Wald- und Wasserprodukten wie Karpfen, Pilzen, Rote Bete und Mohn.
Das polnische Weihnachtsfest unterscheidet sich in vielerlei Hinsicht von den Bräuchen in Deutschland oder anderen westlichen Ländern. Der Heiligabend, in Polen „Wigilia“ genannt (vom lateinischen „vigilia“ für Wachen), stellt den absoluten emotionalen und kulinarischen Höhepunkt der Feiertage dar. Anders als in vielen anderen Kulturen, wo Gänsebraten oder Würstchen dominieren, ist dieser Abend durch eine tiefe spirituelle Symbolik und strenge kulinarische Regeln geprägt. Zentrales Element ist das feierliche Abendessen im Kreis der Familie, das über Jahrhunderte hinweg eine feste Form angenommen hat und bis heute von Generation zu Generation weitergegeben wird.
Besonders auffällig für Außenstehende ist der strikte Verzicht auf Fleischprodukte während dieses Festmahls, obwohl die Tische reich gedeckt sind. Diese Tradition des fleischlosen Essens, kombiniert mit einer Fülle an Fischgerichten, Mehlspeisen und Gemüsevariationen, hat sowohl religiöse als auch historische und agrarwirtschaftliche Wurzeln. Die Vorbereitung der Speisen nimmt oft mehrere Tage in Anspruch, da die Komplexität der Aromen – von fermentierter Rote-Bete-Suppe bis hin zu aufwendig gefüllten Teigtaschen – Zeit und Hingabe erfordert. Es handelt sich hierbei nicht um ein schnelles Essen vor der Bescherung, sondern um ein stundenlanges Zeremoniell.
In diesem Artikel werden die Hintergründe der Wigilia detailliert beleuchtet. Es wird erklärt, warum der Fleischverzicht so essenziell ist, welche zwölf Gerichte traditionell auf den Tisch kommen und welche tiefere Bedeutung hinter Zutaten wie Mohn, Honig und Pilzen steckt. Zudem wird der genaue Ablauf des Abends skizziert, der weit über die reine Nahrungsaufnahme hinausgeht und soziale Gesten wie das Teilen der Oblate (Opłatek) in den Mittelpunkt stellt.
Die religiösen und historischen Wurzeln des fleischlosen Fastens
Der Verzicht auf Fleisch am Heiligabend in Polen ist tief im katholischen Glauben und der Kirchengeschichte verwurzelt. Historisch gesehen galt der 24. Dezember als der letzte Tag der Adventszeit, die in der katholischen Kirche als Buß- und Fastenzeit begangen wurde. Bis zum Jahr 2003 war das Abstinenzgebot am Heiligabend im katholischen Kirchenrecht (Codex Iuris Canonici) fest verankert. Obwohl diese strenge kirchenrechtliche Verpflichtung zum Fleischverzicht formell gelockert wurde, halten die polnischen Bischöfe und die Bevölkerung mit großer Mehrheit an der Tradition des „Post ścisły“ (strenges Fasten) fest. Für viele Polen wäre ein Heiligabend mit Fleischgerichten wie Braten oder Schinken undenkbar und ein Bruch mit der kulturellen Identität.
Neben den kirchlichen Vorschriften spielen auch historische und bäuerliche Aspekte eine Rolle. In früheren Jahrhunderten war Fleisch ein kostbares Gut, das oft für den ersten Weihnachtstag (25. Dezember) aufgespart wurde. Die Wigilia markierte den Übergang vom Fasten zum Feiern. Man nutzte das, was die Natur im Winter zur Verfügung stellte: Getreide, getrocknetes Obst, Nüsse, Honig, Pilze aus dem Wald und Fisch aus den Seen und Flüssen. Diese Zutaten symbolisieren die Verbindung zur Erde und den Ertrag des vergangenen Jahres. Der Verzicht auf Fleisch wird somit auch als Geste der Demut und Dankbarkeit verstanden, bevor am ersten Weihnachtstag die üppigeren Fleischgerichte serviert werden.
Ein weiterer Aspekt ist die symbolische Reinigung. Das fleischlose Essen soll den Körper und den Geist auf das Wunder der Geburt Christi vorbereiten. In der polnischen Tradition wird angenommen, dass tierische Produkte (außer Fisch) die spirituelle Wachsamkeit dämpfen könnten. Fisch hingegen gilt seit den Zeiten der Urchristen als Erkennungszeichen des Glaubens (ICHTHYS-Symbol) und ist daher ausdrücklich erlaubt und erwünscht. Diese Mischung aus dogmatischer Vorgabe, ökonomischer Notwendigkeit früherer Zeiten und spiritueller Symbolik hat dazu geführt, dass die Wigilia bis heute ihren fleischlosen Charakter bewahrt hat.
Gut zu wissen
Obwohl „fleischlos“ bedeutet, dass kein rotes Fleisch oder Geflügel gegessen wird, ist Fisch ein zentraler Bestandteil. Nach katholischer Tradition zählt Fisch (als Kaltblüter) nicht als Fleisch im Sinne des Fastengebots. Daher sind Karpfen und Hering die Proteinquellen des Abends.
Unterschied: Fastenzeit vs. Festzeit
| Aspekt | Wigilia (24. Dezember) | Weihnachtstag (25. Dezember) |
|---|---|---|
| Fleischkonsum | Verboten (nur Fisch erlaubt) | Erlaubt (Braten, Wurst, Schinken) |
| Alkohol | Traditionell kein harter Alkohol | Üblich (Wodka, Wein) |
| Atmosphäre | Besinnlich, mystisch, erwartungsvoll | Fröhlich, gesellschaftlich, üppig |
| Kulinarik | Feldfrüchte, Waldprodukte, Wasser | Fleischprodukte, Fette, Kuchen |
Der Ablauf des Abends: Vom ersten Stern bis zur Mitternachtsmesse
Der Beginn des Wigilia-Essens wird nicht durch eine feste Uhrzeit bestimmt, sondern durch ein astronomisches Ereignis: das Erscheinen des ersten Sterns am Nachthimmel. Dies ist eine direkte Anspielung auf den Stern von Bethlehem, der den Heiligen Drei Königen den Weg wies. Besonders Kinder werden oft beauftragt, am Fenster Ausschau nach dem ersten Leuchten zu halten. Sobald der „erste Stern“ (polnisch: pierwsza gwiazdka) gesichtet wird, versammelt sich die Familie am festlich gedeckten Tisch. Dieser Moment markiert das Ende des Adventsfastens und den Beginn der eigentlichen Weihnachtsfeierlichkeiten.
Bevor jedoch der erste Bissen gegessen wird, findet das wichtigste Ritual des Abends statt: das Teilen der Oblate (Opłatek). Das Familienoberhaupt oder das älteste Familienmitglied beginnt, indem es die dünne, weiße Teigplatte (ähnlich einer Hostie, aber rechteckig und oft mit religiösen Motiven geprägt) mit den anderen Anwesenden teilt. Jeder bricht ein Stück von der Oblate des anderen ab. Während dieses Brechens werden Wünsche für das kommende Jahr ausgetauscht, man bittet um Verzeihung für vergangene Fehler und wünscht Gesundheit und Glück. Diese Geste der Versöhnung und Gemeinschaft ist für viele Polen wichtiger als die Geschenke selbst und stellt den emotionalen Kern des Abends dar.
Nach dem Essen, das oft mehrere Stunden dauert, werden traditionelle Weihnachtslieder (Kolędy) gesungen. Die polnische Tradition der Weihnachtslieder ist sehr reichhaltig und wird intensiv gepflegt. Der Abend mündet schließlich oft im Besuch der Pasterka, der feierlichen Mitternachtsmesse. Die Kirchen in Polen sind zu dieser Zeit überfüllt, und die Messe bildet den liturgischen Abschluss des Heiligen Abends und läutet den ersten Weihnachtstag ein. Der gesamte Ablauf folgt einer strengen Dramaturgie, die weltliche Bedürfnisse (Essen) mit spirituellen Handlungen (Gebet, Wünsche, Messe) eng verwebt.
Profi-Tipp
Auf dem Tisch wird traditionell ein zusätzliches Gedeck aufgelegt, das leer bleibt. Dies symbolisiert die Gastfreundschaft für einen unerwarteten Wanderer, der an die Tür klopfen könnte, oder dient dem Gedenken an verstorbene Familienmitglieder, die im Geiste anwesend sind.
Typische Elemente auf dem Wigilia-Tisch
- Weißes Tischtuch: Symbol für Reinheit und das Wickeltuch des Jesuskindes.
- Heu unter dem Tischtuch: Ein Bündel Heu wird unter die Decke gelegt, um an die Armut der Geburt Christi im Stall zu erinnern.
- Kerzen: Symbolisieren das Licht Christi, das in die Welt kommt.
Die Symbolik der Zahl Zwölf: Die traditionellen Gerichte der Wigilia
Eine der bekanntesten Regeln des polnischen Weihnachtsessens ist die Anzahl der Gerichte. Traditionell sollen es zwölf verschiedene Speisen sein. Diese Zahl hat eine doppelte symbolische Bedeutung. Zum einen steht sie für die zwölf Apostel Jesu, zum anderen repräsentiert sie die zwölf Monate des Jahres. Der Volksglaube besagt, dass man von jedem der zwölf Gerichte zumindest eine kleine Menge kosten muss. Dies soll sicherstellen, dass man im kommenden Jahr in jedem Monat keinen Mangel leidet und dass Glück und Wohlstand das Haus nicht verlassen.
Die Zusammenstellung der zwölf Gerichte kann je nach Region (z.B. Schlesien, Masowien oder Podhale) und Familientradition variieren, aber bestimmte Grundelemente sind fast überall zu finden. Die Basis bilden immer die vier Säulen: Fisch, Kohl, Pilze und Mohn/Getreide. Es gibt keine exotischen Früchte oder importierten Delikatessen; die Küche ist strikt saisonal und regional geprägt. Dies spiegelt die historische Verfügbarkeit von Lebensmitteln im polnischen Winter wider. Man aß, was eingekocht, getrocknet, fermentiert oder im Keller gelagert werden konnte.
Obwohl „zwölf Gerichte“ nach einer enormen Menge klingt, werden viele Beilagen als eigenständiges Gericht gezählt. So können Brot, Kartoffeln oder der Kompott bereits als jeweils ein „Gericht“ in die Zählung einfließen. In ärmeren Zeiten oder kleineren Familien war die Zahl oft ungerade (z.B. sieben oder neun), aber heute hat sich die Zwölf als kultureller Standard etabliert, der in den meisten Haushalten angestrebt wird, auch wenn dies viel Arbeit in der Küche bedeutet.
Achtung
Wer plant, eine traditionelle Wigilia auszurichten, sollte die Mengen pro Gericht klein halten. Da von jeder Speise probiert werden soll, ist die Gefahr des Völlegefühls groß. Es geht um Vielfalt, nicht um riesige Portionen bei einem einzelnen Gang.
Klassische Suppen und Vorspeisen: Rote Bete und Waldpilze
Der Beginn des eigentlichen Essens wird fast immer durch eine Suppe markiert. Die unangefochtene Königin der polnischen Weihnachtssuppen ist der „Barszcz Czerwony“ (Rote-Bete-Suppe). Anders als der ukrainische Borschtsch, der oft Gemüsestücke und Fleisch enthält, ist der polnische Weihnachts-Barszcz eine klare, tief rubinrote Brühe. Sie wird aus einem speziellen Sauerteigansatz (Zakwas) aus Roter Bete hergestellt, der über mehrere Tage fermentiert. Dies verleiht der Suppe einen einzigartigen, süß-säuerlichen Geschmack. Serviert wird der Barszcz traditionell mit „Uszka“ (wörtlich: kleine Ohren), das sind winzige, mit Pilzen und Zwiebeln gefüllte Teigtaschen.
In einigen Regionen Polens, besonders in waldreichen Gebieten, wird statt des Barszcz eine „Zupa Grzybowa“ (Waldpilzsuppe) serviert. Diese basiert auf getrockneten Steinpilzen oder Maronenröhrlingen, die im Herbst gesammelt wurden. Die Pilze werden lange eingeweicht und dann gekocht, oft angereichert mit Sahne und serviert mit Nudeln („Łazanki“). Pilze haben in der slawischen Mythologie eine Verbindung zur Welt der Geister und des Waldes, was gut zur mystischen Stimmung des Heiligabends passt. Sie gelten als eine der edelsten fleischlosen Zutaten.
Als kalte Vorspeise dominiert der Hering (Śledź). Heringe werden in unzähligen Variationen zubereitet: in Öl mit Zwiebeln, in Sahnesauce mit Äpfeln oder in Essig mariniert. Der Hering war historisch gesehen ein günstiger und haltbarer Fisch, der auch im Binnenland verfügbar war. Er sorgt für die salzige und säuerliche Note im Menü und regt den Appetit auf die kommenden, schwereren Gänge an.
Schnellzubereitung: Barszcz-Basis (Zakwas)
| ⏱️ Vorbereitungszeit: | 15 Minuten |
| 🔥 Ruhezeit (Gärung): | 5-7 Tage |
| 🌡️ Temperatur: | Zimmertemperatur |
| 📊 Schwierigkeitsgrad: | Einfach (benötigt Geduld) |
Die wichtigsten Schritte:
- Vorbereitung (10 Min.): 1kg Rote Bete schälen und in Scheiben schneiden. In ein großes Glasgefäß (Steingut oder Glas) schichten.
- Würzen (5 Min.): 3-4 Knoblauchzehen (angedrückt), Pimentkörner, Lorbeerblätter und ein Stück Roggenbrotkruste (als Starter) hinzufügen.
- Gärung (5-7 Tage): Mit abgekochtem, lauwarmem Salzwasser (1 EL Salz auf 1L Wasser) übergießen, bis alles bedeckt ist. Mit einem Tuch abdecken und an einem warmen Ort stehen lassen.
Die 3 wichtigsten Erfolgsfaktoren:
- ✅ Hygiene: Das Gemüse muss vollständig mit Wasser bedeckt sein, sonst entsteht Schimmel.
- ✅ Zeitpunkt: Den Ansatz 1 Woche vor Weihnachten starten.
- ✅ Verwendung: Den fertigen Zakwas abseihen und zur Gemüsebrühe geben – nicht mehr kochen, sonst verliert er die Farbe!
Hauptgerichte aus dem Wasser: Die zentrale Rolle des Karpfens
Der Karpfen (Karp) ist das unumstrittene Hauptgericht der polnischen Wigilia. Diese Tradition festigte sich besonders in der Nachkriegszeit, als die kommunistische Führung die Karpfenzucht massiv förderte, da dieser Fisch relativ anspruchslos und günstig zu produzieren war. Bis heute hält sich der Brauch, den Karpfen oft lebend zu kaufen und bis zur Zubereitung in der heimischen Badewanne schwimmen zu lassen – auch wenn dies aus Tierschutzgründen zunehmend kritisiert wird und viele Verbraucher inzwischen auf Filets zurückgreifen.
Die Zubereitung des Karpfens erfolgt meist auf zwei klassische Arten: paniert und gebraten oder als „Karpfen in Gelee“ (Karp w galarecie). Der gebratene Karpfen wird in Mehl und Ei gewendet und in reichlich Fett goldbraun ausgebacken. Er wird oft mit Meerrettich oder Zitrone serviert, um den oft als „schlammig“ empfundenen Eigengeschmack auszugleichen. Der Karpfen in Gelee, oft mit Rosinen und Mandeln verfeinert („Karpfen auf jüdische Art“), ist eine etwas aufwendigere, kalte Variante, die oft am Vormittag vorbereitet wird.
Neben dem Karpfen finden zunehmend auch andere Fischarten ihren Weg auf die Festtafel, besonders bei jüngeren Generationen, die den Geschmack des Karpfens nicht mögen. Zander, Forelle oder Lachs sind beliebte Alternativen. Dennoch bleibt der Karpfen das Symbol für das Weihnachtsessen schlechthin. Eine Schuppe des Weihnachtskarpfens wird traditionell gereinigt und in den Geldbeutel gesteckt. Dies soll im kommenden Jahr für finanziellen Wohlstand sorgen und verhindern, dass das Geld ausgeht.
Beliebte Fischgerichte an Wigilia
| Gericht | Zubereitung | Geschmacksprofil |
|---|---|---|
| Karpfen gebraten | Paniert, in Öl/Butter gebraten | Knusprig, fettig, intensiv |
| Karpfen in Gelee | Gekocht, in Fischsud geliert | Zart, mild, süß-säuerlich |
| Ryba po grecku | Fischfilet unter gedünstetem Wurzelgemüse | Saftig, tomatig-gemüsig |
| Hering in Sahne | Eingelegt in saurer Sahne, Zwiebel, Apfel | Cremig, säuerlich, frisch |
Pierogi & Kohl: Sättigende Beilagen mit Tradition
Kein polnisches Festessen wäre komplett ohne Pierogi. Diese halbmondförmigen Teigtaschen sind weltberühmt, doch an Heiligabend gilt auch für sie: kein Fleisch. Die klassische Füllung für Wigilia besteht aus Sauerkraut und getrockneten Waldpilzen („Kapusta z grzybami“). Die Füllung wird fein gehackt, gedünstet und kräftig mit Pfeffer und Lorbeer gewürzt. Der Teig muss elastisch und dünn sein, damit das Verhältnis von Fülle zu Teig stimmt. Pierogi werden gekocht und oft mit in Butter gebräunten Zwiebeln serviert. Sie sind enorm sättigend und gehören zu den beliebtesten Gerichten auf dem Tisch.
Neben den Pierogi ist „Kapusta z grochem“ (Sauerkraut mit Erbsen) ein weiteres Standardgericht. Hierbei wird Sauerkraut lange geschmort und mit gekochten gelben Erbsen oder Spalterbsen vermischt. Dieses Gericht ist sehr nahrhaft und erinnert an die bäuerlichen Wurzeln der polnischen Küche, wo Kohl und Hülsenfrüchte die wichtigsten Vitamin- und Proteinquellen im Winter waren. Manchmal werden auch Leinsamenöl (Leinöl) verwendet, was dem Gericht eine besondere, nussige Note verleiht.
Ein weiteres Gericht, das oft serviert wird, sind „Kluski z makiem“ – Nudeln mit Mohn. Oft werden hierfür „Łazanki“ (quadratische Nudelflecken) verwendet. Dies stellt bereits den Übergang zu den süßeren Speisen dar, wird aber oft noch im Hauptteil des Menüs als süße Beilage gegessen. Die Kombination aus Teigwaren und Mohn gilt als Glücksbringer und soll eine reiche Ernte im nächsten Jahr garantieren.
Süßer Abschluss: Mohn, Honig und Trockenfrüchte
Das Dessert bei der Wigilia ist ebenfalls schwer und reichhaltig. Mohn spielt hier die Hauptrolle. Mohnsamen symbolisieren in der slawischen Tradition Fruchtbarkeit, Schlaf und die Verbindung zum Jenseits. Das bekannteste Dessert ist der „Makowiec“, ein Hefestrudel, der prall mit einer Masse aus gemahlenem Blaumohn, Rosinen, Nüssen, Honig und Orangenschale gefüllt ist. Der Kuchen wird oft mit Zuckerguss überzogen. Ein gut gemachter Makowiec hat mehr Füllung als Teig.
Im Osten Polens ist „Kutia“ weit verbreitet. Dies ist eine sehr alte, süße Speise, die aus gekochten Weizenkörnern (manchmal auch Graupen oder Reis), viel Mohn, Honig, Nüssen und Rosinen besteht. Kutia wird kalt gegessen und hat eine fast breiige Konsistenz. Es ist eines der ältesten bekannten slawischen Weihnachtsgerichte und hat starke rituelle Bedeutung als Speise für die Ahnen.
Getrunken wird zum Abschluss oft „Kompot z suszu“. Dies ist ein Kompott aus getrockneten Früchten (Pflaumen, Äpfel, Birnen, Aprikosen), das mit Gewürzen wie Nelken und Zimt gekocht wird. Der Geschmack ist sehr intensiv und rauchig (durch die getrockneten Pflaumen). Der Kompott gilt nicht nur als Getränk, sondern auch als Verdauungshilfe nach dem üppigen, fettreichen Essen.
Häufig gestellte Fragen
Wann genau darf man mit dem Essen anfangen?
Traditionell beginnt das Essen erst, wenn der erste Stern am Abendhimmel sichtbar ist. Dies geschieht in Polen im Dezember meist zwischen 16:00 und 17:00 Uhr. Kinder werden oft ans Fenster geschickt, um nach diesem Stern („Gwiazdka“) Ausschau zu halten. Erst nach dieser Sichtung versammelt sich die Familie zum Gebet und zum Brechen der Oblate, bevor gegessen wird.
Darf man am Heiligabend in Polen Alkohol trinken?
Nach strenger Tradition wird am Heiligabendtisch kein Alkohol, insbesondere kein Wodka, getrunken. Das Getränk der Wahl ist der Kompott aus Trockenobst oder Wasser. In der modernen Praxis lockert sich dies jedoch etwas, und viele Familien servieren Wein oder Sekt zum Essen. Exzessiver Alkoholkonsum gilt jedoch weiterhin als unpassend für die feierliche und spirituelle Atmosphäre der Wigilia; das Anstoßen erfolgt eher am ersten Weihnachtstag.
Was passiert mit dem leeren Platz am Tisch?
Ein Gedeck mehr als Personen anwesend sind, wird auf den Tisch gelegt. Dieser Teller bleibt während des Essens leer. Er symbolisiert die Offenheit des Hauses für einen unerwarteten Gast oder Bedürftigen, da an Weihnachten niemand allein sein sollte. Gleichzeitig dient er in vielen Familien als stilles Gedenken an verstorbene Angehörige oder Familienmitglieder, die nicht anwesend sein können.
Warum wird Heu unter die Tischdecke gelegt?
Ein Bündel Heu unter dem strahlend weißen Tischtuch ist ein sehr alter Brauch. Es erinnert symbolisch an die Armut der Heiligen Familie und die Geburt Jesu in einer Futterkrippe auf Stroh. In manchen Regionen ziehen die Gäste nach dem Essen Halme aus dem Heu; die Länge und Farbe des Halms wurde früher spielerisch als Orakel für das Glück oder die Lebensdauer im kommenden Jahr gedeutet.
Fazit
Die polnische Wigilia ist weit mehr als nur ein Abendessen; sie ist ein komplexes kulturelles Phänomen, das Religion, Geschichte und familiäre Bindungen in einer einzigartigen Weise verknüpft. Der Verzicht auf Fleisch mag für Außenstehende zunächst als Einschränkung erscheinen, erweist sich jedoch bei genauerer Betrachtung als kulinarische Bereicherung. Durch die Konzentration auf Fisch, Pilze, Kohl und Getreide entstehen Geschmackskombinationen, die tief in der polnischen Seele verankert sind und eine direkte Verbindung zur Agrargeschichte des Landes herstellen. Die Symbolik der zwölf Gerichte, das Teilen der Oblate und das Warten auf den ersten Stern verleihen dem Abend eine Struktur, die Halt und Identität stiftet.
Wer die Möglichkeit hat, an einer traditionellen Wigilia teilzunehmen oder diese Gerichte selbst zuzubereiten, taucht in eine Welt voller Mythen und Aromen ein. Es lohnt sich, diese Traditionen zu respektieren und vielleicht sogar Elemente davon in das eigene Weihnachtsfest zu integrieren. Sei es durch das bewusste Genießen fleischloser Alternativen, das Einführen eines Moments der Stille und des Wünschens vor dem Essen oder einfach durch das Ausprobieren eines authentischen Rote-Bete-Barszcz. Die Botschaft der Wigilia – Gastfreundschaft, Versöhnung und Dankbarkeit für die Gaben der Natur – ist universell und zeitlos.




